VErfall, Krankenhauslivebericht, Danach -Kortisonstoßtherapie bei MS Schub 2009

 

6. April 2010, Dienstag 5:00

Mein Kopf droht zu platzen.

Mir ist speiübel.

Dennoch warmes Wasser in mich reinkippen.

Anschließend eine Schüssel Vollkornflakes. Pur.

Ich wäre so gern im Bett geblieben. Doch durfte nicht.

Gestern Abend nahmen die Kopfschmerzen schon sehr stark zu, nachts ließ sich diese Intensität noch mehr steigern um jetzt gerade ihren Höhepunkt zu finden.

Bin ich nervös oder einfach nur angekotzt? Denn ich fühle mich, als müsste ich ihnen auf den OP-Tisch kotzen. Auch im übertragenden Sinne. Es wird einfach gemacht und getan. Hab ich schon einmal versucht ein Veto einzulegen? Wieso auch? Es ist doch alles nur gut gemeint. So wie immer. In mir sperrt sich alles. Aber das ist ja nichts Neues. In mir sperrt sich ständig etwas gegen irgendwas. Und als ich abends in der Wanne saß, plötzlich das Gefühl eines Dejavues und in meinem Schädel eine Stimme, die sagte: „Du wirst noch im Krankenhaus sterben!“. Wie ein Fluch –diese Anstalt lässt mich einfach nicht los. Will mir helfen und mich dabei brechen und kaputt machen. Lauf weg!!! Wohin?

Für gewöhnlich wäre ich ganz scharf auf den Wundschmerz, aber ich habe genügend Schmerzen, vor allem diese betäubenden Kopfschmerzen. Ausreichend! Und wie lange nicht laufen?

Erst einmal die Frage: Wie lange dauert das heute? In weiterer Folge sehe ich mich ins Taxi kotzen. Lasst mich in Ruhe!!!

Ich lief nicht, irgendwann war die Skizze fertig (man muss schon sagen nach TAGEN…), bzw. eben noch nicht ganz. Ich fing an meine Fotoauswahl zu verfluchen, das Profil war nicht klar zu erkennen, da die Sonne direkt dahinter alles in einem weißen Licht verschmelzen ließ. Doch ich fand die Schattierung auch deswegen so spannend und wählte so eben dieses Foto. Viel zu viel Kopfarbeit, dachte zu viel nach, konnte einfach nicht weitermachen. Machten noch unzählige Fotos, die so ähnlich sein sollten, damit ich das Profil korrekt auf die Leinwand bringen konnte. Doch diese Fotos taugten alle nicht. Fand die Antwort absurderweise in einem Bild, als ich mittlerweile resignierend durch den Flur ging. Und DANN endlich –es war bereits 17:00- konnte ich wirklich mit dem Malen beginnen. Ich hatte zuvor bei der ersten Vorgrundierung mit Hautfarbe bereits die Leinwand verflucht. Alles war scheiße! Und es spielte nun doch keinen Unterschied, ob ich die Leinwand direkt so benutzte oder nachgrundierte. Ein Elend.

Aber jetzt, wo klar war, was wo hin musste, lief es einfach. „Bekomme ich nun Routine oder ist es wieder eine dieser trügerischen Situationen, in denen man geblendet ist von dem, was man gerade vollbringt, die Leinwand anschließend an die Wand hängt und entsetzt feststellen muss: „UM HIMMELS WILLEN!!! HAST DU DAS NICHT GESEHEN?“?“. Keine Ahnung, wird sich zeigen.

Dann ging es eben in die Wanne und ich konnte und wollte die Schnitte nicht hergeben. Sie waren etwas tiefer als gewöhnlich. Noch ein Grund mehr sie zu horten.

Ein Fenster öffnen. Singdrossel, Fasan, Amsel, Rotkehlchen, Buntspecht, Kuckuck, Blaumeise. Aus Schwarz wird Blau.

Mir an den Kopf fassen. Leichter Druckschmerz an der Augenbraue. Meine Mutter war bei der Osterfeier mit einer Geflügelschere auf mich losgegangen.

Eigentlich war sie dabei das Huhn zu zerlegen, ich stellte eine Frage und ging hinter ihrem Rücken zum Mülleimer, da wirbelte sie herum um beim Beantworten mit der Schere imaginär etwas in die Luft zu zeichnen und rammte mir diese mit ziemlicher Wucht ins Auge. Die Schere prallte am Brillenglas ab und landete auf meiner Augenbraue, wo diese einen kleinen Schnitt hinterließ. Meine Mutter konnte sich gar nicht mehr einkriegen, wir nur amüsiert. Obwohl mein Augen wahrlich Glück hatte.

Mir ist kalt, die Zeit vergeht, meine Verdauung tut wieder nichts. Wäre ich doch bis jetzt im Bett geblieben…

 

Kurz vor 8:00

Die Fahrt im Taxi war schweigsam. Entweder gar nichts sagen oder ein Gespräch führen. Doch irgendwo dazwischen. So anstrengend.

Zum ersten Mal seit langem wieder meine Musik hören. Sie tut weh.

ICH hätte mir wehtun sollen.

Die Handballen liegen auf dem Notebook auf. Ein unangenehmes Brennen macht die kleinsten Vibrationen des Computers merkbar.

Als der Tag kam fühlte ich wieder diese Endlichkeit.

Und nun, mit diesem schweren Musikstück, noch intensiver.

Warum mir ein Lächeln aufs Gesicht zaubern, wo keines ist?

Ich hab die Sonne gesehen. Doch es ändert nichts daran.

Depressiv.

 

9:50

Der rechte Handrücken unwuchtig. Kochsalzhügel und die restliche Hand zerstochen. Erst spät ein Venflon. Arterielles Fiasko. Beidseits. Ob das abgenommene Blut nun reicht?

Es ist so laut, die Begleitung der jungen Zimmergenossin reden ständig, die Tür sperrangelweit offen, der Bodenwischwagen fährt vorbei.

Mein Kopf hatte sich beruhigt, doch nun nach diesem wieder nicht enden wollenden Stechfiasko hämmert er wieder wie verrückt.

„Das Ritzen ist auch nicht sonderlich hilfreich.“, und: „Wenn da oberflächliche Venen wären, kann man sie so nicht sehen.“.

Aber am Gesamtdebakel ändert auch das nichts.

Die Hände auf meine Ohren und die Kopfhörer pressen.

Die Musik schneidet sich wie meine Klinge tief in den Muskel, das Herz blutet.

 

7. April 2010, Mittwochmorgen

Um 12:04 kam ich im OP-Bereich an, wurde in diesem Zwischenraum abgestellt und musste warten. Es wurde noch zu Ende operiert, rausgeräumt, dann kam die Frau mit dem Wischmopp, dann wurde wieder eingeräumt.

12:46 wurde auch ich in den OP geschoben. Mir wurde wieder alles Länge mal Breite erklärt, bis der junge Arzt vom letzten Mal kam und meinte, eigentlich könnte ich die Anweisungen geben, da ich sie schon im Schlaf kenne.

Am Werk waren also der junge Arzt, dann wohl sein Chef und am Ende kam noch der Radiologe von der Phlebographie hinzu. Mit dem Draht ging es erneut auf Reisen durch mein Venensystem. Ein stechender Schmerz im Hals. „Na, im Hals bis du falsch!“, der Radiologe zum Chirurgen. Es folgten Schmerzen im Herz, in der Lunge mit dem kurzzeitigen Gefühl, zu ersticken und dann ein Stechen in der rechten Achsel. „Da bist du richtig!“, wieder der Radiologe beinahe schulmeisternd. Tatsächlich dauerte die OP nur so lange wie eine konventionelle Portimplantation. Unter meiner linken Schulter eine riesige Blutlache, die ich erst nicht erwähnte. Hatte ich es doch zweimal sturzbachähnlich hinab schießen gefühlt. Vielleicht hätte es niemand gesehen und mir wäre zumindest der Fleck geblieben. Doch leider entdeckte es die OP-Schwester und wischte meinen besudelten Rücken gründlich ab.

Hinterher erfuhr ich von einem andren Arzt, der nebenbei erwähnt recht unfreundlich war, dass der Port nun in den Kollateralkreislauf installiert worden war. Also doch noch alles zu, oder wie? „Sie haben ja bei der OP zugehört!“. Ach so? Mein Gesicht zeigte nach Rechts und die Ärzte standen links von mir und brabbelten irgendwelchen Ärztekauderwelsch, mit mir direkt wurde kaum gesprochen. Nur ab und zu ein: „Tut es weh?“. Ich platzierte am Ende, als er nähte, nur eine einzige Frage: „Und? Kommt da jetzt Blut raus?“. „Nein, leider nicht. Das ist so eine winzige Vene, die kollabiert sofort, wenn man zu aspirieren versucht.“.

Also wieder im Zimmer, die Kopfschmerzen noch kaum zu ertragen. Bekam ein Becherchen mit allerhand Ingredienzien. Letzteres war Psychopax. So, so, mich sedieren? Egal, es wirkte ohnehin nicht und zu Hause war der Schmerz kaum noch auszuhalten.

Doch zumindest musste ich nicht kotzen.

Der Kuckuck ruft, das macht mich unglaublich nervös. Denn hinter mir steht mein Bild und wartet, es gibt noch so viele Dinge zu tun, doch ich kann mich kaum rühren. Muss ich mich erst wieder betäuben, um mich neu sortieren zu können?

„Du siehst schlecht aus. Ganz schwarze Ringe. Wohl der Blutverlust.“, Sebastian gestern Abend zu mir.

Was für eine schöne Vorstellung…

 

"Darf ich den Port haben?". Die OP-Schwester ganz entsetzt: „Aber der ist doch kontaminiert!". Wenn die wüsste was bei mir zu Hause an mit Blut kontaminierten Dingen rum liegen...