VErfall, Krankenhauslivebericht, Danach -Kortisonstoßtherapie bei MS Schub 2008

 

27. Januar 2010, Mittwochmorgen

Kuschelige -12,4°C. Jetzt, wo doch die Sonne zum Vorschein kommt. Ist es der Mond? Es soll noch kälter werden. Und dann die Katzen im Haus lassen? Das klingt wie Nervenmord. Martha hatte sich nicht lumpen lassen und gestern großzügig auf den beigefarbenen Teppich, auf dem mein Maltisch steht, zu kotzen. Nett. Sie würde auch nie auf die Idee kommen, auf die Fliesen zu reihern. NEIN, es muss immer ein Teppich sein. Nur dass ich diesen NICHT in die Waschmaschine bekomme, wie alle andren im Flur. Immer noch fraglich, ob das nun wegen ihrem dicken Winterfell ist oder weil sie plötzlich das Futter nicht mehr verträgt. Bulimie? Sehr witzig…

Mein Körper hatte noch ganz andre Überraschungen für mich parat. Dieses packende Gefühl im linken Unterschenkel, das mich montags doch schon sehr stark beeinträchtige (vor allem beim Lauf), entwickelte gestern ein abstruses Eigenleben. Schon morgens spürte ich, dass es noch stärker war. Im Büro zum Teil ein unerträgliches Gefühl –wie ein Brennen. Und dann lief ich los. Jedes Mal wenn ich mich schnäuzte (und das muss bei diesen Temperaturen alle 2 Minuten sein, wenn ich nicht so aussehen will wie die Biathlonherren beim Zieleinlauf), durchfuhr das linke Bein eine lähmende Schwäche, es setzte sodann für einige Schritte förmlich aus oder das Knie gab nach, wurde butterweich. Sehr amüsant! Es wurde immer schlimmer, ich beschloss die Strecke einzudämmen, lief zu meinem Hausarzt, und da keine andren Patienten das waren, ging ich zu ihm rein und ließ mich beraten, was ich denn mit meinem Rücken, Knie und Wade und meinem Weisheitszahn samt Kopfschmerzen tun könnte. Er verschrieb mir Voltaren und noch eine Salbe, dann lief ich weiter. Drehte eine Runde um Jennersdorf herum, wurde beinahe von einem schwarzen Pickup überfahren, der mit 70 schnurstracks auf mich zuraste. Anstelle langsamer zu werden, musste ich zur Seite in den aufgetürmten Schnee springen. Dann wartete ich auf den Gegenverkehr, der ihn veranlasst hatte, so zu fahren. Doch dieser kam erst eine halbe Minute später. VOLLIDIOT!!! Die Aussetzer wurden immer heftiger, ich zögerte das Schnäuzen hinaus, doch sobald ich auf mein Bein hinab sah, fuhr die Lähmung in dieses. Nicht so schön, wie mit der Konstellation mit dem gehobenen Arm, aber doch. Als ich stand, stellte ich ein leichtes Lhermitte-Zeichen fest. Hurra! Was wird das noch?

Das Gefühl im Bein wechselte vom Strumpfgefühl zu einem unangenehmen Brennen. Und heute? Wenn ich gehe, wieder dieses Lähmungsgefühl. Und jetzt im Sitzen ein Brennen. Gespannt, was das für ein Lauf werden soll. Der linke Arm im Vergleich auch ziemlich schwach, beim Verknoten meiner Haare kaum in der Lage die Haargummis zu bändigen.

Auch die Leinwand macht Freude. Gerade mal das Stückchen Unterarm vorgrundiert, entstanden SCHON WIEDER Flecken. Wenigstens die Grundschattierungen am Gesicht ließen sich problemlos auftragen.

Es bleibt nun nur noch die Frage, was ich anziehe…

 

28. Januar 2010, Donnerstag 6:00

Es erscheint mir pervers froh darüber zu sein, dass es bereits Donnerstag ist und meine Verpflichtungen somit für diese Woche enden. Und dann zähle ich die Jahre, die mir noch mit meinen Eltern bleiben und bekomme Angst. So wie beim Lauf, als mir plötzlich bewusst wurde, wie wenig Zeit denn noch vorhanden ist und mein Atem stockte in Panik. Zugleich aber auch, dass ich die Nähe nicht ertrage. Schon fast dankbar mich anschließend mit anderen und aktuell drastischeren Problemen rumschlagen zu „dürfen“. Lähmung im linken Bein, in steigender Intensität ab dem 6. Kilometer. Und dazu noch die einschießenden Lähmungsattacken. Feine Sache. Was soll ich tun? Eine Woche warten und wenn sich nichts ändert im Krankenhaus anrufen. Das Gefühl im Bein ist „biestig“. Ist es der Weisheitszahn, der für allgemeine Unruhe sorgt? Wie immer Fragen und Theorien, aber keine Antworten.

Am Bild noch weniger geschafft. Zumindest auf den ersten Blick. Die Arbeit am Gesicht ist viel fragiler als am ganzen Rest. Ob eine Falte etwas zu weit links oder rechts sitzt, spielt keine Rolle. Im Gesicht sehr wohl. Da reicht halber Millimeter und schon stimmt nichts mehr. Mich langsam Schritt für Schritt an ein Optimum rantasten, den nächsten Pinsel am Ruinieren. „Extrem –Pinsel über den Jordan –Schießing“! Fing wieder an den Gesichtsausdruck der Vorlage zu kopieren und verzog unentwegt meine Miene. Erst schien nichts stimmig zu sein, doch kaum waren die Augen mit Leben gefüllt, veränderte sich der Gesamteindruck drastisch. „Wie lange brauchst du noch?“, Sebastians Frage. „Mindestens 10 Tage.“, meine demotivierte Antwort. Sind ja auch erst nur 20. Meine Güte! Hätte ich diese Nachmittagspause nicht eingeführt, wäre ich längst weiter! Hing gebeugt wie ein alter Gnom über der 100x60cm großen Leinwand und setzte Punkte. Es wäre einfacher, müsste ich diese nicht umlegen, um ans Gesicht zu kommen und sozusagen quer denken. Heute vielleicht keine Pause? Wenn ich mit dem Gesicht nicht fertig werde, sollte ich anfangen mich zu fragen, wie das sein kann!

Mein Schädel dröhnt. Scheiß Zahn! Und irgendwie schlecht geschlafen. Fing an Sebastians Atmen mit meinem zu vergleichen. Er atmete viel schneller als ich und schon bekam ich wieder Angst. Du bist so kaputt!

Den Haufen Tabletten in die Hand nehmen und auf einmal runterschlucken.

 

1. Februar 2010, Montag 6:50

Ich weiß nicht mal, wie ich diesen Februar beginnen soll. Mit einem Markschütternden „AHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!!!!!!!“?

Donnerstags beim Lauf wurden die Anfälle immer stärker und ich wagte es, im Krankenhaus anzurufen. Ich fragte nach meiner Ärztin. Diese sei „nicht mehr da“, hieß es. Und was soll das nun heißen? Nicht mehr da wie „Sie ist bereits nach Hause gegangen oder hatte heute keinen Dienst“? Oder nicht mehr da im Sinne von „Arbeitet nicht mehr hier“? Aber ich könnte mit meiner „alten“ Ärztin sprechen. Diese sagte ihren Standardsatz: „Schauen Sie, was Ihnen gut tut.“, und als ich weiter versuchte zu erklären, dass sich der Zustand drastisch veränderte, meinte sie noch: „Das können Sie mir dann ja alles ausführlich beim nächsten Termin erzählen.“. Zudem noch, dass sie eine andre Patientin mit Tysabri hätten, die auch „ähnliche Beschwerden“  nach der Infusion gehabt hätte. Ich wusste nicht, ob ich amüsiert sein sollte oder was auch immer. Sieht sie doch wieder nur den „Psycho“ oder wie? Oder ist gar gekränkt, weil ich es gewagt hatte ihre Meinung anzugreifen und dann eben zu einer andren Ärztin zu wechseln? Die Antiepileptikadosis könne ich noch anheben. Nach diesem seltsamen Gespräch ging ich nach oben um zu malen. Der Zustand verschlechterte sich gegen Abend hin immer mehr. Jedes Mal wenn ich meinen Kopf nach rechts drehte, kribbelte es erst und dann brannte es im linken Bein.

Am darauf folgenden Tag sogar auch noch im Arm. Nun gut, die Anfälle beim Lauf waren erst zwar weniger, aber mit stärkerer Intensität und der Rest des Tages war komplett verseucht.

Samstags wollte ich laufen, hatte einige Anfälle, aber schaffte gerade mal 3km, mein Körper wollte aufs Klo und war nicht willens, die 1,1km bis zu diesem noch zu bewältigen. Kapitulierte, ließ mich abholen und hatte keine Lust mehr zu laufen.

Und gestern? Versuchte es nicht mal!

Denn über all dem schwebte ja noch eine ganz andre Katastrophe. Das Malen des Gesichts hatte so entspannt begonnen und sollte dennoch in einem viertägigen Krieg enden. Die Schlacht um „Sein oder nicht Sein“ lenkte zumindest streckenweise WUNDERBAR von dem Veitstanz ab, denn mein Nervensystem gerade aufführte.

Ich kann es.

Ich kann es nicht!!

Ich hasse diese Leinwand, dieses verschissene Bild!

Nein, ich hasse mich!!!!

Das kann doch nicht sein, warum krieg ich das nicht hin?!!!

DU KANNST ES EINFACH NICHT!!!! VERSAGER!!!!

Verzweifeln, bis zum Jährzorn, bis zu Tränen. Alles hinschmeißen wollen und doch weiter machen. Besessen!!! Absolut besessen!!! Striche setzen, Striche wegmachen. Einen Punkt setzen, um sodann eine ganze Fläche wieder zu übermalen. Das hatte nichts mehr mit Herantasten zu tun. An zwei Tagen nach STUNDENLANGER Plackerei versuchen mir einzureden, dass das nun gut sein darf. Und mir fest vornehmen am nächsten Tag endlich mit etwas anderem zu beginnen. Schon war der nächste Tag da, ich warf bei Tageslicht einen Blick auf das vermeintlich „abgeschlossene“ Werk vom Vorabend und war entsetzt, raufte mir die Haare, hätte sie mir am liebsten ausgerissen!!! Tat es aber nicht und fing WIEDER von neuem an, etwas an dem Ergebnis zu verändern.

Würde man der Verzweiflung einen Namen geben, stünde meiner ganz oben auf der Favoritenliste!

ALLES, aber auch wirklich ALLES in mir schrie danach mich zu verletzen! Und die Verzweiflung und vor allem die Wut hätten ausgereicht um diesmal „gründlich“ zu arbeiten. In erster Instanz war es der Wunsch mich zu bestrafen für mein Versagen. Dann erst die Hoffnung, dass mich zu erden etwas an dem Malstil ändern würde. So wie schon so oft an Stellen, an denen ich verzweifelte, weil scheinbar plötzlich nichts mehr ging.  Es gibt einige Bilder, an denen ich Partien aufweisen kann, die mit Blut „erkauft“ worden waren.

Und selbst gestern als ich ENDLICH etwas andres begann, konnte ich es nicht lassen, hie und da noch „Schnitzer“  auszubessern. Ertrage es nicht, andre Gesichter in meinem zu erkennen. Erkenne ich mich denn nun?

Was hast du dir geschworen? NIE WIEDER unscharfe Vorlagenfotos!!! Und was hast du gemacht? Ein unscharfes Vorlagenfoto gewählt! Und dann noch eines mit einem Gesichtsausdruck, der wahrlich nicht einfach ist. Hatte mir beim Auswählen bereits gedacht: Mit dem Mund wirst du noch deine helle Freude haben!

Und heute wieder im Krankenhaus anrufen. Nun kann ich wenigstens klar definieren, dass das Problem beim Laufen immer dann auftritt, wenn der linke Arm gegen den Bewegungsablauf agiert, sprich: Er irgendetwas macht oder ich ihn starr am Körper abwinkle und für einen Schritt nicht mitschwingen lasse.

Ob es sich dann heute tatsächlich gebessert hat?

 

2. Februar 2010, Dienstag 6:00

Atemlos, schwindelig, orientierungslos, inklusive Parkkralle an der linken Wade.

Ich war so maßlos überfordert beim Lernen mit einem neuen Klienten. Mathematik. Ich war nicht in der Lage mir Rechnungen aus dem Hirn zu saugen, geschweige denn sie selbst schnell zu lösen. Dann schaltete sich noch der Zivi ein, baute ein Monsterkonstrukt von einer Sachrechnung auf, der Klient lag frustriert auf dem Tisch und ich hätte es ihm gern nachgemacht. „Du  verstehst es?“, sagte der Zivi grinsend. Nein, ich verstand nur Bahnhof und wenn ich zu denken versuchte, fühlte ich eine erdrückende Leere im Kopf. Ich kam einfach nicht von A nach B. Es ging mir nicht gut. Und es wurde nicht besser. War nur noch froh als ich endlich weg konnte, glich mein Arbeitsschluss doch eher einer Flucht. Der Lauf hatte zumindest den erfreulichen Aspekt, dass die Lähmungsanfälle nur etwa viermal auftraten. Soviel dazu. Doch der linke Fuß hatte eine unglaubliche Bodenhaftung, ich stolperte gleich mehrmals Filmreif und blieb zum Glück auf meinen schwachen Beinen. Ich haderte mit mir überhaupt in Oberwart anzurufen. Und tat es dann kurz vor Dienstende doch. Schilderte den Verlauf der letzten Tage, sagte auch, dass ich sehr starke Lhermitte-Zeichen hätte, erwähnte auch noch das neu hinzugekommene Kribbeln im Gesicht (ging davon aus, dies käme vom Neurontin) und fragte dann: „Meinen Sie, dass das alles wirklich vom Tysabri kommt?“. Nun entgegnete sie: „Nein, das kommt sicher nicht vom Tysabri.“, in einem Tonfall, als sei das schon letzte Woche klar gewesen: „Da muss man wohl von einem Schub sprechen.“.  Gab mir den guten Rat, es mit dem Laufen nicht zu übertreiben (angesichts der angesprochenen 2 Tage Laufpause), dass ich die Neurontindosis noch weiter erhöhen könnte, ich mich melden sollte, falls sich noch etwas drastisch verschlechtere und man dann bei wenig Besserung in Erwägung ziehen könnte in 2 Wochen statt Tysabri Kortison zu verabreichen. Ich verstehe es immer noch nicht. Soll man nun schnell handeln oder abwarten?

Ich schleppte mich nach oben und malte. Nun wieder entspannt. Abgesehen vom Gefühl im Körper. Sah das Gesicht, das ich mir so hart erarbeitet hatte, und plötzlich berührte es mich. Wenn diese Reaktion irgendwo in mir auftaucht, ist endlich klar, dass es nun gut ist/ gut sein darf. Der Hintergrund zog sich. Der Untergrund machte die altbekannten Schwierigkeiten. Ich vermag nicht zu zählen wie viele Schichten Weiß ich auftragen musste, ehe es nur noch leicht lückenhaft deckend wurde. Im Grau entstanden in der Ferne kleine Baumreihen, eine fragile Arbeit, die doch Entspannung brachte. Als würde der Soldat nach dem Fronteinsatz in den Urlaub geschickt. Dann mich viel zu lange mit Perspektivenfragen rumschlagen, das Hirn immer noch zu, wie schon vormittags beim Lernen. Angst, das hart Erkämpfte zu ruinieren. Denn nun war die Leinwand wieder etwas wert. Während ich malte, brannte es unentwegt im linken Bein, mit Fortschreiten des Tages wurde es immer stärker, griff über auf das rechte Bein, bis abends alle Gliedmaßen brannten und stark kribbelten. Mein Kopf schmerzte. Kaum auf dem Sofa wieder zappeln. Für mich war ab dem Zeitpunkt klar, dass es ein Schub sein muss, als sich das Lhermitte bemerkbar machte. Und ich dieses schon seit ich weiß nicht wie vielen Jahren nicht mehr hatte.

Ich kann mit dem Laufen nicht zurückstecken. Die zwei Tage ohne fühlten sich an, als würde ich es komplett verlieren und ENDLICH aufgeben. Zudem machte es depressiv. Alles starb. In allen Farben und Formen. Als ich ein Stück Schokolade, das ich von meiner Schwiegermutter zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, aß, sah ich nun sogar sie sterben. Und nachts lag ich mit Tränen im Bett. So wie jetzt. Ich kann, ich DARF es nicht mal ansprechen, schon geht es wieder los. Ich brauche mein Laufen um abzuschalten…

 

3. Februar 2010, Mittwoch 7:45

Brennen linkes Bein.

Brennen linker Arm.

Leichtes Kribbeln beide Beine beim Kopfnicken.

Verwirrte Psyche.

Aufgewacht aus einem seltsamen Traum. Dieser hatte nichts mit Verletzung zu tun, doch der erste klare Gedanke war die Erinnerung an einen Unfall und an mein Blut. In dicken Tropfen, schwarzrot. Und ich atmete schwer, weil ich mich dem Reiz dieser Bilder im Kopf nicht verwehren konnte. Ich brauche mehr, wie ein Junkie. Warum auch immer. Schon gestern ließ mich der Gedanke nicht los, mich aufzuschlitzen, wenn auch das Bild bluten wird. Sah in diese nun tiefroten Augen, in denen irgendwo ein Hauch sterbendes Grün verschwindet und es war, als würde ich in meine Augen sehen. Immer noch schwer atmen. Du hast noch Zeit… Mich und meine Verlustangst abstellen? Zumindest für einen heilsamen Moment? Wieder sehne ich mich zurück in diesen toten Zustand, als hätte dieser mehr Sicherheit geboten als es der meinige jetzt tut. Denke daran, wie meine Arme aussahen, was für ein Gefühl es war diese unter langen Ärmeln zu verbergen und allen um mich rum etwas vorzugaukeln, während der pochende Schmerz unter blutigen Bandagen mich daran erinnerte, wer oder was ich wirklich bin. Mir unbewusst die Augen zuhalten, denn je länger ich davon spreche, darüber nachdenke, desto unnachgiebiger wird der Druck in meinem Bauch.

Ich hätte auch etwas Amüsantes von mir geben können. Zum Beispiel gestern, als ich wieder von einem LKW voller Begeisterung angehupt wurde, während ich inbrünstig den Text dieses Metalsongs beim Laufen mitbrabbelte und dann zu Sebastian meinte, er solle aufpassen, dass ich nicht irgendwann mit einem Trucker nach Ungarn abhaue.

Aber dann schweife ich wieder ab zu meinem Bild, diesen roten Augen und atme kaum noch. Meine Narben mustern. So viele, dass man sie gar nicht erkennen kann. Eine einzige Masse, durchfurchte Hautflächen. Wird das Bild etwas kompensieren oder doch eher auslösen?

Aufstehen um mir Früchtemüsli zu holen –Streckspasmen. Danach noch stärkeres Brennen im Bein.

Würde ich es jetzt gerne tun? Keine Zeit? Und dann abends baden, was alles zunichte macht und nicht mehr bleibt als ein kurzlebiger Schmerz beim Eintauchen ins heiße Wasser? Jetzt mit der Parästhesie im Arm? Mir diese herausschneiden? Kann nicht mehr klar denken, doch muss bald los.

Der Hintergrund kostete mich so viel Überwindung. Wage ich es, wage ich es nicht? Etwas ausprobieren und davor noch eine Ewigkeit Vernunft und Angst gegeneinander antreten lassen. Das Risiko hoch, doch es hat sich gelohnt. Scheinbar nicht vorangekommen, doch diese diffizile Arbeit kostete Zeit. Und jedes Mal wenn ich die Leinwand vor das schwarze Tuch hängte, hatte ich direkten Blickkontakt mit mir selbst. Was die Entscheidung, ob ich mich bluten sehen muss oder nicht doch sehr „erleichterte“.

Wieder aufstehen, wieder Streckspasmen. Eine gefühlte Ewigkeit in dieser Position verharren müssen. Kostet Kraft, ein kurzer Anflug von Schwindel.
Jetzt, wo niemand da ist, nur ich allein mit der Stille, ist es einfacher über so essentielle Fragen nachzudenken. Werde loslaufen, die Sehnsucht bleibt…

 

4. Februar 2010, Donnerstag 5:50

Wurde wieder angehupt, ein anderer LKW.

Wurde vom „Dorfsuffkopp“ angepöbelt, als er mit dem Fahrrad den Berg runter fuhr, eine scharfe Kurve machte um auf den Gehsteig und mich beinahe über dem Haufen zu fahren. Brabbelte irgendetwas von: „Sie steht schon wieder!“. Hätte ich kontern sollen: „Er ist schon wieder sternhagelvoll!“, oder: „Er fährt schon wieder auf dem Gehweg!“? Andrerseits DEN Typen auf die Straße lassen? Nicht gut für die andren und für ihn selbst erst recht nicht.

Nach 9km starke Hüftschmerzen und Lähmung.

Am Ende 15,7km bei nicht ganz 3 Stunden und einer längeren Wartephase beim Hausarzt.

Wenn ich darüber nachdenke, möchte ich einfach nicht mehr.

Mich Stunden an einem dünnen Hintergrundstreifen aufhalten, die große Partie vor mir her schieben. Es dann wagen, scheitern, keine Geduld mehr, kapitulieren –Stillstand!

Absoluter Stillstand! Planlosigkeit. Eine Stunde lang.

Das Gesicht in den Händen vergraben. Kurz davor in Tränen auszubrechen.

Mein Gefühl schreit danach, das Bild bluten zu lassen!!! Es ENDLICH abzuschlachten!!!

Wie kannst du dich noch mit Unwichtigkeiten wie dem Hintergrund aufhalten? Sieh in die Augen und sag mir, was sie DIR sagen!!! Schneelandschaften?? WOHL KAUM!!!

Mich zusammenreißen. Es muss fertig sein, um „abzuschließen“. Meine Pläne komplett verwerfen. Für den eigentlichen Hintergrund nach beinahe EINEM Monat keine Geduld mehr, noch das Vertrauen in mein fragliches „Können“. In den Sparmodus wechseln und sogar dort scheitern. DU bist SOOO SCHEISSE!!!!

„Das Bild ist genial!!“. Hilft mir auch nicht.

Mir nachts im Bett vorstellen, wie ich meinen Arm entblöße, die Klinge drehe, bis ich die letzte noch unangetastete Kante erreicht habe und diese dann immer und immer wieder in die weiße Haut sinken lasse. Tiefe Schnitte, das Blut quillt heraus, landet in dicken Tropfen auf dem Boden. So wunderschön…

Dann fängt der linke Arm an zu krampfen. Will fliehen? Zwecklos…

 

5. Februar 2010, Freitagmorgen

Erst rannte ich nochmals gegen das Stativ und verrückte es.

Dann gab das Kabel meine Notebooks endgültig den Geist auf und der Akku so gut wie leer.

Zum Glück passte das von Sebastians Notebook auch zu meinem.

Und als wäre die Bestrafung für meine Kapitulation noch nicht ausreichend genug gewesen, an der Bankkante ein Loch in die Leinwand schlagen. Mit Tränen in den Augen nach Lösungsansätzen suchen. Während des Malprozesses hätte ich so manches Mal das Bild all zu gerne zerstört. ABER DOCH NICHT JETZT!!!

Mit dem Spatel dick weißes Acryl darüber spachteln und das Loch damit wie ein Klempner füllen. Danach nichts mehr machen. Mir den krönenden Abschluss für heute aufheben wenn ich alleine bin. Fand kein entsprechendes Rot. Habe so viele Flaschen und Tuben mit unterschiedlichem Rot, aber passend ist keines. Verbrachte gut eine halbe Stunde damit, eine Farbe für Blut zu mischen. Letztendlich war mein linker Handrücken mit unzähligen roten Strichen übersät, hatte dann aus drei unterschiedlichen roten Farben mein Blut gemischt: Gebrannte Umbra, Karminrot, Orangerot.

Meine Farbe nun anmischen und dann abschließen…

 

Mittag

Die Meisen zwitschern in den kahlen Bäumen.

Ich weiß nicht, ob ich mich daran erfreuen kann.

Denke weiter, denke an den bevorstehenden Frühling, an das zurückkehrende Leben.

Und fühle NICHTS.

Alles ist ohne Belang, ist wertlos.

Hab ich es aus meinen Adern laufen lassen?

Das Bild ist wertlos.

Je mehr Fotos ich machte und einfach KEINES davon scharf sein wollte, desto wertloser wurde das Bild.

Beim letzten Blick darauf sah ich dann nur noch SCHEISSE und Fehler, Fehler, FEHLER!!!

Versager!!!

Die Klinge ging nicht tief genug. Ebenso wertlos!

Bei jedem Schnitt dachte ich darüber nach, wem oder was dieser gewidmet sein muss.

Letztendlich wiederholte ich nur noch diesen einen Satz: „Weil DU VERSAGT HAST!!!!“.

Habe ich das wirklich?

Wie soll ich Schnee- und Eislandschaften malen, wenn draußen der Frühling anzubrechen „droht“?

Heute nicht laufen.

Genau so belanglos.

Bis auf das Gefühl, ein fettes SCHWEIN zu sein.

Die Lähmung gestern massiv, dazu ebenso massive Schmerzen in der rechten Hüfte. ALLES lähmte. Wieso sollte ich überhaupt noch?

Es ist, als hätte sich nun die viel zu lang kaschierte Depression durch die 46 Schnitte gezwängt um ans Tageslicht zu gelangen. Dort, wo sie hingehört.

Bis Sebastian nach Hause kommt, wird es später.

Viel Zeit.

Für den Fall, dass es noch nicht reichen darf…

 

6. Februar 2010, Samstagmorgen

Taumelnd aus dem Bett fallen. Hatte das Neurontin auf 1500mg erhöht, die Schmerzen in den Beinen waren mehr als nervenaufreibend. Sah aus dem Fenster und dachte an Nebel. Sah auf den Gartenboden –wo ist das Gras? Kein Nebel, sondern starker Schneefall. Alles wieder weiß.

Nun hätte ich weiterarbeiten können, oder wie?

Nein.

Da ist ja noch das Ölbild mit Schnee im Hintergrund…

Wir fuhren nach Fürstenfeld, gingen durch die Stadt. Mein Gangbild verschlechterte sich mit jedem Schritt. Zudem im rechten Knie ein massiv pochender Schmerz. Wollte meine bestellten Schuhe im Sportladen holen. Dort ein Menschenpulk vor der Kassa. „Nimm 3, zahl 2!“, sagte die junge Verkäuferin, als sie mich sah und dann meine Schuhe aus dem Lager holte. Ich reihte mich in eine der Schlangen ein. Und stand dort ich weiß nicht wie lange. Ständig drängten sich irgendwelche Menschen vor, kam nicht voran. Und konnte nicht mehr stehen.

Sebastian redete unentwegt auf der Fahrt, ich schwieg. Fiel es ihm auf? Redete er deswegen so viel, um die Stille zu füllen?

Wieder zu Hause Lähmungsanfälle, wenn ich den linken Arm hob. Sehr, sehr witzig…

Der Lauf fällt aus, SCHON WIEDER!!!

Die Vernunft –wenn ich denn so etwas mein Eigen nennen darf- sagt mir, dass es ein Fehler wäre zu laufen. Nach wenigen hundert Metern wäre die Lähmung so gravierend und ich hätte anschließend noch Tage was davon. Mein Knie meldet ebenfalls pochend Bedenken an.

Mein Schädel dröhnt –das Neurontin?

Na, fettes Schwein? Essen und nicht bewegen? Wie willst du DAS rechtfertigen??!!!

 

8. Februar 2010, Montag 5:50

Die Nadel sinkt lautlos in die dafür vorgesehene Bauchfalte. Kein Schmerz. Der Eindruck, da eine Portion Walschwarte zwischen Daumen und Zeigefinger zu haben, verstärkt sich. Würde es nicht bluten…

Nächster blauer Fleck –Blutgefäß getroffen.

Ich fühle eine ungemeine Befreiung, nun, da das Bild abgeschlossen ist. Ich muss nachmittags nicht hoch gehen.

Und zugleich fühle ich mich wie eine haltlose Marionette, der man sadistisch bis aus einen alle Fäden gekappt hat.

Ich nutzte den Samstag für das Ölbild. Die Farbverläufe sind wunderschön, sind anders als bei Acryl. Dass die Farbe nicht trocknet ist angesichts dessen ein Segen, wenn auch zugleich ein Fluch, wenn man ständig an die frischen Partien gerät. Ging mit Schema an die Sache ran, arbeitete mich von vorne nach hinten. Doch irgendwann war auch das ausgereizt und ich musste aufhören.

Bin ich nun froh, dass so viele Sachen liegen geblieben sind?

Gestern nächste Laufpause.

Es wird zu einem Dauerzustand.

Stattdessen wollte ich das Aquarium meiner Kleinen reinigen, der Eimer mit dem Wasser fiel runter, auf den Holzboden, der unverzüglich dieses aufsog wie ein Schwamm und aufzuquellen begann. Erst fluchte ich, dann krachte ich zusammen. Reicht doch schon viel weniger aus, um mich wortwörtlich aus der Fassung zu bringen und meinen wahren Zustand ans Tageslicht gelangen zu lassen.

Ich würde sagen, jetzt bin ich das, was eine instabile Persönlichkeitsstörung ausmacht. Rauf und runter und rauf und runter. Baumle da an meinem Faden, den Umwelteinflüssen hilflos ausgeliefert.

Beruhigte mich wieder, als ich das Mittagessen vorbereitete und war wieder guter Laune, als wir aßen.

Dies hielt sich auch eine Weile, bis auf diverse Wortklaubereien und Ärger über mich selbst wegen meiner grottenschlechten Gedächtnisleistung. Oder wie ich es nenne: Dummheit!

Und dann abends der nächste Kellergang. Sebastian telefoniert mit seiner Mutter, die erst beklagte, schon so lange nichts mehr von ihm gehört zu haben. Und dann: „Ich hab Bianca doch auch eine Mail geschickt…“. Sebastian erklärte, dass ich meinen Posteingang nur ganz selten öffne. Meine Miene verfinsterte sich. „Aber sie hat doch früher immer soviel im Internet gemacht…“, oder so ähnlich in einem vorwurfsvollen Ton.

„Kannst du deiner Mutter beim nächsten Mal erklären, dass ich einfach nicht KANN?“, ich zu Sebastian: „Ich sitze vor den Nachrichten und KANN einfach nicht zurück schreiben. Mir bleibt die Luft weg, erstarre förmlich. ICH KANN es einfach NICHT!!!“. Und dann noch, ob ich mich schon wieder dafür rechtfertigen muss, dass es mir schlecht geht. „Das musst du doch nicht, sie weiß es doch.“. „Anscheinend nicht!...“, mein letzter Kommentar ehe für mich der Abend gegessen war. Rückt mir zur nah und ich ziehe mich noch mehr zurück. Ich ertrage diese Nähe nicht! Und erst recht nicht, wenn man mich in die Verpflichtung nehmen will. Und merke doch auch, dass ich Sebastians Nähe im Augenblick auch immer wieder nicht ertragen kann.

Na, willst du nicht etwas dagegen einnehmen? HA???

 

9. Februar 2010, Dienstag 5:30

Aufwachen, orientierungslos, nicht wissend, warum ich überhaupt noch existiere. Gestern Nacht hatte ich  bereits die Schubladen meines Nachtkästchens auf der Suche nach irgendetwas ausgeräumt, bis mir bewusst wurde, dass es ein Traum sein muss. War nachmittags erstaunt, als ich ins helle Zimmer kam und meine ganzen Taschentücher auf dem Boden lagen. Hatte es vergessen oder nicht in den Tag mitgenommen. Und heute Nacht machte ich wohl plötzlich das Licht an, mit den Worten: „Jetzt weiß ich, was ich gesucht hatte!“, kramte in der obersten Schublade, wo auch die Tabletten für die Gastritis liegen und suchte nun nach anderen, wichtigen Medikamenten, fand diese natürlich nicht, sagte wohl noch, dass sie leer seien und machte das Licht wieder aus. Die Antiepileptika machen mich ganz wirr im Kopf, kann Tag und Nacht nicht mehr unterscheiden, noch mich erinnern.

Und dann bin ich hier nun mit diesem Gefühl, überflüssig zu sein. Nein –überfällig!

Sebastian hatte mich bei Facebook angemeldet, weil ich das ja „bräuchte“ und lud ein schreckliches Foto von mir hoch. „Was für eine Schönheit!“. Was für ein blindes Huhn. Scheußlich! Machte mich in den Fotoordnern auf die Suche nach einem anderen, amüsierte mich erst, weil ich eins von meinen zerschlagenen Knien nehmen wollte. „Wieso denn nicht?“ auf Sebastians Empörung: „Das ist doch das, was mich ausmacht.“. Doch das Lachen sollte mir vergehen, je weiter ich mich durchs Jahr 2009 kämpfte. Dann kamen die Lauffotos und ich hatte mich darauf noch NIE so dermaßen FETT gesehen. Ein klobiges Monster. Wenn man da nicht glaubt, dass ich wegen meiner Fettheit ständig stehen bleiben muss. Und ich fing an mich zu hassen, ABGRUNDTIEF zu verabscheuen. Wieder Tränen runterwürgen. Wieso? Ist doch egal, bin ich nicht wert! Wieder gekippt! Dieses Laufhemd werde ich nie wieder anziehen, am besten die kurze Hose auch nicht mehr. DU BIST SO EIN WIDERLICHES UNGETÜM!!!! Ich hasste mich. Ich hasse mich immer noch.

Wie groß wird die Verunsicherung sein, wenn ich dann heute auf die Straße trete? Warum hatte ich es nicht gesehen? Warum sehe ich auf einem Foto so aus, und auf einem andren eben anders?

Mein Schädel dröhnt. Als ob das Laufen nicht schon genug von anderen Umständen verseucht wäre. Der erste Gedanke war: „Und WIE siehst du dann aus, wenn du nicht mehr laufen kannst???“. Panik!

Die Gelenke wollen nicht mehr laufen und ich will nicht einsehen, warum sie jetzt so meckern, wo sie sich doch eigentlich letztes Jahr auch nicht beschwert hatten. Und erst recht nicht die Hüfte. Entzündungshemmende Schmerzmittel einwerfen? Warum bringen mich die ganzen Tabletten nicht einfach um?

Der Tee heizt auf, die Ärmel hochgeschoben, geben den linken Unterarm preis. Verblasst. Und ein Kratzer hat sich entzündet. Auch überfällig.

Ein gelber Zettel hing an unserer Türschnalle, als wir mittags nach Hause kamen. Der Postbote konnte ein „behördliches Dokument“ nicht zustellen, muss es heute bei der Post abholen. Rätselraten, was das sein könnte. Ein Strafzettel? Oder der Bescheid fürs Pflegegeld? Meine Mutter rief nachmittags dort an, wohl selbst neugierig, was es sein könnte. Und tatsächlich von der burgenländischen Landesregierung. Entweder der Bescheid fürs Pflegegeld (obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, dass ich diesen die letzten Male vom Postboten persönlich entgegen genommen hatte) oder ein Angebot fürs Landgeld. Diese Schulden wieder los zu werden, wäre mehr als erfreulich.

Doch letztendlich spielt all das keine Rolle. Kann nicht mehr denken. Fühle nur die Parästhesie in meiner linken Körperhälfte und meinen Bauch, den ich nicht ertrage.

 

10. Februar 2010, Mittwochmorgen

Nächster Laufausfall.

Starker Schneefall. Wäre doch diese verfluchte Parese nicht, es wäre mir eine Freude mich durch den Schnee zu kämpfen. Es muss krachen in den Waden.

Aber nein –wieder hier hocken und diese ganzen Pausen schon nicht mehr ertragen. Und es soll mit dem Wetter noch schlimmer werden. Würde ich nicht laufen, fände ich es wunderschön. Aber unter diesen Umständen hat es nun mal einen bitteren Beigeschmack und ich starre leicht verdrießlich hinaus auf das ganze Weiß.

Was mache ich denn nun?

Hatte mich soweit möglich über Ölmalerei informiert und bin nun noch verunsicherter. Was, wenn tatsächlich die Farbe abblättert und meine „Mühen“ umsonst waren? Mit viel Glück kann ich am Wochenende mit meinem Erstwerk in Öl weitermachen, es vielleicht beenden. „Malen mit Öl erfordert viel Planung!“. Das hab ich gemerkt. Dann gestern noch eine andre Leinwand begonnen. Einen Kalender, mit Monatsetappen. Wieder Verunsicherung, ob ich Acryl mit Öl kombinieren kann. Fand dann diverse Künstlerseiten, die den Hintergrund mit Acryl und darauf mit Öl gemalt hatten und diese Bilder auch teuer verkauften. Also muss es halten, oder?

Doch je mehr Seiten ich mir ansah, umso beschissener fand ich das, was ich produziere. Und fühlte mich wieder unwohl.

Schnee, Schnee, Schnee. Mein Schädel dröhnt.

Hatte morgens eine schon recht starke Schmerztablette eingeworfen und siehe da: Beim Lauf kein einziger Mucks, weder vom Knie noch von meiner Hüfte. Konnte mich also ganz auf meine Lähmung konzentrieren. Schön! Und die war bereits nach 5km so stark, dass ich nur noch in kleinen Happen, bzw. gefährlich humpelnd vorankam.

Aber da hatte ich wenigstens etwas geleistet. Was hab ich heute vorzuweisen? NICHTS?????

Darauf warten, dass mich die Zeit auffrisst…

 

Vormittag

Es ist fast wie Hohn, als es aufhört zu schneien, ich mich aber bereits bis oben hin mit Tee abgefüllt habe.

Der Schädel dröhnt immer noch.

Eine neue Klinge –doch es will einfach nicht bluten.

Was macht es mit mir? Macht es mich rasend?

Sicher ist, dass ich mich definitiv noch fetter fühle.

Unterm Ärmel belanglose Scheiße.

Außer, dass der Arm vom Runterhängen blau anlief, ist nicht viel passiert. Die Finger eiskalt.
Stille im Haus.

Ich weiß nicht, wie ich, bevor ich meine Arbeit hatte, überleben konnte…

Festgefahren. Auf die Zeit hoffen, dass ich mich bald ums Mittagessen kümmern darf.

Und dann? Mich anschließend noch fetter zu fühlen?

Ach ja, ich kann mich ja mit der aufblasbaren Matratze ärgern…

 

11. Februar 2010, Donnerstag 5:45

Das Terrassenlicht anmachen und nach draußen sehen. Winter. Tiefster Winter, soweit das Auge reicht. Zumindest schneit es nicht mehr. Meine Chefin rief mich gestern an, dass sie heute frei nehmen würde und eben nicht da wäre. Nun ist fraglich, ob ich zur Arbeit fahre. Ich weiß nicht, ob es überhaupt Arbeit für mich gibt und die Stundeneintragungen von drei Schlüsselkräften, um die ich mich nebenbei kümmere, sind auch erledigt. Und nur wegen einer Kleinigkeit mich bei diesem Wetter bis nach da hinten kämpfen? Und dann nach zwei Stunden? Angesichts der zu erwartenden Straßenlage nach Hause fahren, um Sebastian um 12 wieder abzuholen? Laufen kann ich mir stecken, keine Frage. Und du wirst träger und fetter und noch fetter!!! Mir an den Kopf fassen. Kopfschmerzen, nonstop Kopfschmerzen. Diesmal nicht die Weisheitszähne, wohl eher die Tabletten. Die Aussetzer meines Körpers werden wieder heftiger. Bin mittlerweile bei 1800mg Neurontin angelangt, doch dieses scheint überhaupt keine Wirkung zu zeigen. Außer, dass ich in jedem Traum etwas suchen muss und dann immer wieder verwirrt aufwache. Und die Nebenwirkung, dass ich morgens unglaublich am Torkeln bin und vom Schwindel durch den Flur geschleudert werde.

Warum gehe ich nicht wieder ins Bett? Es förmlich provozieren, dass mich der Tag auffressen wird? Wieso nicht, die Schnitte von gestern waren belanglos, und sind es nun nach dem abendlichen Bad erst recht…

Kopfschmerzen, starkes Kribbeln in den Beinen, immer noch starkes Brennen der linken Seite, mit Tendenzen nach Rechts, die Parese im linken Arm hat zugenommen, seit kurzem schlafen meine Gliedmaßen ständig ein und kribbeln dann umso stärker. Auch das packende Gefühl im linken Unterschenkel ist zurück. Ich würde sagen, der Schub ist noch aktiv und das Antiepileptikum für’n ARSCH!

Ich quälte mich mit dem klobigen Matratzending rum, um endlich mein Nähzimmer wieder zu bekommen. Es dauerte, fraß Zeit. Und dann war da ja noch dieser Stapel mit kleinen Leinwänden, der an der Mauer lehnte. Brachte auch sie noch an die Wand, musste alles neu anordnen, was erst recht Zeit verschlang. Nach dem Essen kam schon meine Mutter und beschäftige mich bis 18 Uhr. Ich durfte mich durch „Monika Martin –Videos“ quälen, auf der Suche nach Liedern, die sie haben wollte. Und als sie ging, musste ich daran denken, wie sie da am Wohnzimmertisch stand und ein paar Erdnüsse futterte und sah sie wieder sterben. Sah die Lieder zurückbleiben, während sie sich in Nichts auflöst. JAAA, DAS brauchst du!!! Quäl dich noch ein bisschen!!! Tränen tropfen in den Tee.

Es macht alles keinen Sinn, weder wach zu sein noch überhaupt einer weiteren Existenz hinterher zu eifern. Der Schädel dröhnt und irgendwie ist mir schlecht. Meine Finger anstarren –geschwollen. Wegen der Suppe gestern Abend. „Leicht bekömmlich“ stand auf der Packung. Und das ganze Salz? Nach 4 Kannen Tee hätte ich dermaßen ausschwemmen müssen. Nochmals meine Hände ansehen, dann wandert der Blick zu den popligen Kratzern und dann im Kopf zu meinem Gesicht und wie dieses angesichts des Zustandes meiner Hände aussehen wird. Ich hasse mich!

Laut Beipackzettel kann Neurontin Parästhesien hervorrufen. Doch nicht der Schub? Ach, was weiß ich, mich kotzt nur noch alles an! Was hatte ich die Ärztin gefragt? Ob das Kribbeln vom Neurontin oder ob es vom Tysabri käme? Ich weiß es nicht mehr. Kann mich nur noch an die Antwort erinnern: „Nein!“. Und wieder so ein Wischiwaschizustand, der so viele Erklärungen parat hält und eine sichere Diagnose erschwert. Das Kribbeln war vorher schon da –doch verstärkt es sich nun durch die Tabletten? Oder weil der Schub wütet? Oder gar nur noch ausgelöst vom Gabapentin? Das Brennen ist unverändert. Es könnte mir egal sein, wenn denn nächste Woche nicht die Frage anstünde, ob Tysabri oder doch erst Kortison. Und unter sehr häufige Nebenwirkungen steht: Gewichtszunahme. Danke, das hab ich ja gerade noch gebraucht. Es zu lesen reicht schon aus, um eine mittelschwere Krise auszulösen. Die Dosis stufenweise wieder reduzieren? Davor lieber nochmals im Krankenhaus anrufen? Wieder nerven? Ich kann mich nicht leiden! So viele Nebenwirkungen, die genau zutreffen, aber auch genau so gut auf das Konto der MS gehen. Wie will man angesichts dessen differenzieren, was wem zuzuordnen ist? Scheiße, Scheiße, SCHEISSE!! Weiterlesen. Ist es nicht hirnrissig, bei neuropathischen Schmerzen diese Tabletten anzuwenden, wenn sie genau das aber auch wieder auslösen können?

Und es ist IMMER dasselbe Theater bei einem Schub, dieses Abwägen, all die überflüssigen Überlegungen, dieser Kampf! „Nehmen Sie sich beim Laufen zurück.“, hatte sie geraten. Ja und? Nun jagt eine Pause die nächste, aber es wird nicht besser. Doch Schub? Aus anfänglicher Überzeugung wird so wie IMMER Unsicherheit.

Sebastian ist schon draußen beim Schneeschippen und ich bleibe zu Hause.

Sieh an, sieh an! Gelenksschmerzen gehen auch auf das Nebenwirkungskonto von Neurontin.

Und es fängt wieder an zu schneien…

 

12. Februar 2010, Freitagmorgen

Schnee, Schnee, Schnee. Es schneit heute nicht mehr, doch der Himmel ist verdächtig weiß. Man müsste mal ein paar Schritte nach draußen wagen und mein großes Mallineal in den Schnee stecken. Ich will heute Nachmittag laufen und allein beim Anblick all des Schnees bekomme ich eine Lähmung. Dabei ist es so unglaublich schön…

Aber das ist auch schon alles, was schön ist.

„Was tust du gerade?“ –diese Frage stelle ich mir immer dann, wenn ich soeben am Austicken bin. Und was tat ich? Hing kotzend in der Kloschüssel, mich meines Abendessens entledigend. Die Gründe?...

Der Tag kam schleppend in die Gänge. Erst kroch ich nach oben, betrachtete meine beiden begonnenen Bilder, dachte daran, wie oft ich nun hoch und runter gehen müsste, um alles ins Atelier zu schleppen, und kapitulierte. Wieder schwirrte diese Angst in meinem ohnehin dröhnenden Schädel herum, dass ich NIE WIEDER malen würde können. Und dabei fühle ich mich wie ausgespuckter Auswurf, seitdem die große Leinwand fertig wurde. Fühle diese innere Unruhe, als hätte ich seit Wochen nicht mehr gemalt und müsste es aber dringend. Musste mir selbst immer wieder sagen, dass der Abschluss noch nicht mal eine Woche her ist. Ging wieder nach unten, nach hinten ins Nähzimmer, in dem ich nach dem Aufräumen sogar die Heizung wieder etwas höher gedreht hatte. Wühlte mich durch Stoffberge, durch unzählige begonnene Kleidungsstücke und Stapel von Schnitten, die ich erst aussortieren musste. Brauchbar oder Reinfall. Entdeckte eine Hose nach dem neuen Schnitt der „Modedesignerin“ aus meiner entfernten Verwandtschaft, die an sich nur noch beendet werden musste. Und dies tat ich auch. Meine linke Hand wollte einfach nicht. Ich rief im Krankenhaus an, da ich keine Lust hatte dann im Falle einer Kortisontherapie trotzdem die 15€ für die Tagesklinik zu bezahlen, und meine „alte“ Neurologin meinte nun, dass wir eine dreitätige Stoßtherapie machen würden. Fragte nach dem Kribbeln und ob dies vom Neurontin käme. Sie verneinte es: „Eigentlich ist dieses Medikament ja genau DAFÜR gedacht!“.

Sebastian kam, es gab Mehrkorntoast mit fettarmem Käse und für mich Salat. Dann lag ich nur noch halbtot auf dem Sofa, so unglaublich müde. Scheiß Neurontin! Meine Nachmittagssendung konnte ich mir dann aber sparen, da sie nun wieder dort waren, wo ich begonnen hatte sie mir anzusehen. Hunger, nonstop Hunger. Und allein dieses Gefühl reichte aus, mich im Laufe des Tages fetter und noch fetter werden zu lassen. Abends gab es selbstgebackenes Brot, ich aß zu viel und ertrug diesen vollen Bauch nicht. Dann war ich fertig mit Nähen, Sebastian oben am Computer, ich unten –wenn man so will- allein, man konnte mich oben nicht hören. Und von einem Moment zum anderen war klar, dass ich diese Last/Schuld von mir nehmen müsste.

Also: „Was tust du gerade?“. Meine Gastritis und Refluxösophagitis richtig schön anheizen. Fühlte ich mich danach schlecht oder gar schuldig? Oder war es egal? Und so wie Sebastian heimlich nach draußen schleicht um zu rauchen, kann ich auch kotzen, oder etwa nicht?

Der Hals brannte. Heute kratzt er. Was soll ich tun? Ich hasse mich einfach.

 

13. Februar 2010, Samstagabend

Nach dem ersten Mal aufschlitzen, musste zwangsläufig noch ein zweites Mal folgen.

Erst blutete es nicht, dann ging es nicht tief genug.

Der linke Unterarm an drei Seiten komplett zerkratzt, am Brennen. Aber das war auch schon alles. Frust.

Nach dem Essen laufen. Mir kam unentwegt die Kotze hoch, mir wurde immer schlechter, zudem dieser beeinträchtigende Schwindel durch das Antiepileptikum. Nein, es reicht mit diesen Tabletten. KEINE Wirkung, außer Nebenwirkungen und diese beschissenen Kopfschmerzen.

Der Lauf endete mit gerade mal 12,1km. Das Fax aus Oberwart war bereits bei meinem Arzt eingetrudelt, das Kortison konnte verschrieben werden.

Und heute? Der Lauf ein einziges Dilemma.

Ich brauchte für die ersten 2km bereits 15 Minuten, die Lähmung Schritt für Schritt am Wuchern wie ein hochaggressives Geschwür. Um mich nach 5km endgültig abzuschießen. Nein, ich kann den Schnee (zumindest auf der Straße) NICHT mehr sehen. Die Schwäche im Bein brannte wie Feuer. Ich kapitulierte, ich gab einfach auf. Und ließ mich abholen. Mich schon mal einstellen aufs Kortison. Freude.

Zumindest meinen Arm wird sie nicht sehen, wenn doch das Venensuchen ausbleibt. Und kann nicht wieder vom Zustand dessen auf eine Psyche –MS –Verbindung schließen, wie sie es doch nur zu gern tut.

 

15. Februar 2010, Montag 5:45

Ich war soeben dabei, mich von meiner Mutter zu lösen. Wir standen im kleinen Flur des Hauses meiner Eltern. Wollte am Telefon einem Vertreter klarmachen, dass es sich nicht lohnt zu versuchen, mir etwas anzudrehen. Und das auf eine freundliche Art und Weise. Sie stand daneben und lästerte, dann äffte sie ihn nach. Redete und redete und redete. Er war so leise, ich konnte ihn nicht verstehen. Und sie so laut und übertönend. Hielt meine Hand vor ihren Mund. „Sei doch still! Ich verstehe nichts!“. Sie trieb es noch bunter, wurde noch lauter, redete noch schneller. Ich hielt meine Hand nochmals vor ihren Mund und zischte sie böse an: „Jetzt halt endlich den Sabbel!!!“. Beendete das Telefonat, sie stand da und bekam einen Gesichtssturz. Dann rannte sie weg. Doch ich war jetzt NICHT mehr bereit auf dieses Spielchen einzusteigen. Ging ihr nach ins Gastzimmer, sie redete wieder wie eine Wand und lästerte über den Vertreter. Ich hielt ihr immer und immer wieder den Mund zu und brüllte sie an. Ich war ja im Recht und dieses setzte ich nun auch durch. Drehte ihr, nachdem sie endlich verstummt war und ich alles gesagt hatte, den Rücken zu und ging. Dann kreischte der Wecker.

Aus dem Bett poltern wie ein Betrunkener.

Scheiß Tabletten –hätte längst begonnen, sie wieder zu reduzieren, wenn meine Neurologin nicht gesagt hätte, ich solle dies noch nicht tun.

Wer hätte es gedacht –gestern wieder Laufpause.

Und es ist so unendlich leicht, in der absoluten Passivität zu ertrinken. Alles ist egal. Nur nicht meine Verlustängste. Die sind mehr als präsent. Sebastian starb. Immer und immer wieder und ich schluckte und schluckte, würgte einen Kloß nach dem andren samt Tränen runter. Meisterlich.

Dazwischen arbeitete ich an meinem kleinen Ölbild weiter…

An diesem Punkt steht mein Hirn –kann nicht mehr denken.

Abends rief meine Mutter an, sie hatte eine Frage. Als diese geklärt war, signalisierte sie eine Gesprächsbereitschaft, doch ich konnte nicht. Nicht mehr und nicht jetzt. Wir wollten doch den Biathlon sehen und vor mir stand mein noch unangetastetes Abendessen. Als ich sie mit Schweigen abgewürgt hatte und endlich essen konnte, fühlte ich mich schlecht. Wie kann ich nur persönliche Bedürfnisse über das doch stetige Ablaufen von kostbarer Lebenszeit stellen? WIE NUR??? Darum der Traum…? Und darum auch die Unfähigkeit zu sagen, dass ich essen möchte, keine Zeit habe oder gar nicht in der Lage bin ihr zuzuhören?

Eines steht auf jeden Fall fest: Ich habe bereits meine Laufhose an, so wie immer, wenn ich arbeiten gehe und sie unter einer weiten Stoffhose trage. Also steht auch fest, dass zumindest schon mal der Plan existiert, laufen zu gehen. Angst vor einem Fiasko wie samstags. Dazu mein unerbittlich dröhnender Schädel. Und je mehr Trubel und Lärm um mich rum, umso mehr nimmt dieser zu. Bin mittlerweile froh, mittwochs mit dem Kortison zu beginnen und anschließend eine Pause zu bekommen. In diesem Zustand kann ich einfach nicht arbeiten. Mittlerweile brennt das rechte genau so stark wie das linke Bein und auch der linke Arm.

Und freue mich schon auf den Entzug…

 

16. Februar 2010, Dienstag 7:50

Meine Chefin verstand nicht so ganz, als ich erklärte, nach der Therapie eine Woche für den Entzug zu benötigen. Irgendwie verstand sie gar nichts. „Musst du im Krankenhaus bleiben?“. Ich erklärte, dass es wieder ambulant durchgeführt würde. „Also bis Donnerstag!“. Ich erklärte es noch einmal. „Dann bis Montag!“. Um es noch ein weiteres Mal zu erklären. Sie ganz entsetzt: „Was? So lange?“. Nun war ich verunsichert. Als hätte ich noch nie eine Therapie gehabt seitdem ich hier arbeite. Verbrachte ich doch 2008 damit mich alle zwei Monate mit Kortison voll pumpen zu lassen und war dann anschließend immer eine Woche zu Hause. „Würde ich kommen, dann hättest du hier einen echten Borderliner sitzen, und ich glaube, das willst du nicht, oder?“. Ich ging, noch mehr verunsichert. Und bin es immer noch. Heute ist die Firma geschlossen. Ging es darum, weil sie nicht allein im Büro hocken will? Oder andre Gründe?

Meine Beine brennen. Bin froh, dass etwas versucht wird. Und ächze jetzt schon in freudiger Erwartung der Nebenwirkungen.

Draußen Nebel und frostige Temperaturen. Überlegen, was ich anziehe. Was ist zu wenig und was zu viel?

Dann dröhnt auch noch mein Schädel.

Der Lauf gestern war nicht schlecht, kein Schnee auf den Straßen und irgendwie auch keine Lähmung im Bein. Ob das heute auch gilt?

Vögel auf der Terrasse. Ich würde sie gerne füttern, dann könnte ich sie fotografieren. Aber unsre Katzen wüssten das auch sehr zu schätzen. Leider…

Ich fühlte mich wie Müll, den ganzen Tag. Wieder diese Anspannung, die für gewöhnlich den Beginn eines neuen Bildes ankündigt. Und tatsächlich fing ich an darüber nachzudenken. Doch jetzt, während und nach einer Kortisontherapie?

 

17. Februar 2010, Mittwoch 4:30 1. Tag

Was tut man nicht alles um Tee trinken zu können…

Ein packendes Gefühl in beiden Unterschenkeln. Es kribbelt.

Martha schleicht durch den Küchenbereich und vertilgt irgendwelche Krümel, die auf dem Teppich liegen.

Bin ich müde? Nein, eigentlich nur aufgekratzt.

Nun hat sie die halbtote Spielmaus entdeckt und gibt dieser den Rest.

Irgendwie macht sie mich nervös, wenn sie da so durch den Raum schleicht und beim Gehen Geräusche macht, als trüge sie Katzenstöckelschuhe. Und das wird sicherlich noch besser. Mir graut jetzt schon vor dem, was mir in den nächsten 10 Tagen blüht.

Mein Hals kratzt.

Als ich gestern loslief, war noch nicht auszumachen, wie sich der Lauf entwickeln würde. Dann kamen diese beiden Waldpassagen, in denen die Straße aus komprimiertem Schnee und Eis bestand. Sagen wir mal, es waren etwa 1000m.

Jetzt langweilt sie sich und tut diesen Umstand quakend kund. Martha geht raus, Fine kommt wieder rein. Katzen sind geboren, um Tyrannen zu sein.

Da waren also zusammengerechnet diese 1000m. Und diese popligen 1000m sollten mir das Genick brechen. Ich rutschte nicht, ich versank nicht, doch ich musste mich in kleinen Trippelschritten voranarbeiten und dies ist genau so fatal, wie das Laufen auf weichem Untergrund. Mein Magen fing an sich selbst zu verdauen, ein Druck und ein brennender Schmerz, der Mageninhalt wollte der Erdanziehung trotzen und sich nach oben kämpfen. Da waren es doch gerade erst 4km! Ich kam im Dorf an, lief an den kleinen Läden vorbei und an einem Cafe hatte jemand an dessen Hauswand seinen Magen entleert. Ein monströser Kotzhaufen, ich hielt die Luft an, als ich vorbeilief und hätte am liebsten daneben gekotzt. Die Magensäure brutzelte, angeheizt von dem kleinen Ausflug in Bulimiegefilde, dem Einwerfen von Deflamat und zwei Tagen nachmittags Ananas. Endlich am Kirchenklo angekommen. So regelmäßig wie ich heiligen Boden betrete, kann mir keine noch so inbrünstige Gebetsschwester das Wasser reichen. Betrat also die ehrwürdigen 16m², wählte eine der beiden Toiletten aus, wollte mich setzen, ehe mein Magen quietschend Einhalt gebot. Auf der Klobrille klebte „Unrat“, um nicht Scheiße sagen zu müssen. OK, es ist dunkel und Licht gibt es nur alle Jubeljahre –aber muss das sein? 4,1km, mein Lauf war eigentlich an diesem Punkt bereits gelaufen. Und ich lief trotzdem weiter. Die Lähmung wurde stärker und stärker, ich kam nur noch in Happen voran. Bis ich schon mehr Zeit mit Pausen als mit Laufen zubrachte. Aber ich quäle mich doch so gern. Dann meldete sich die Hüfte und der an Intensität zunehmende Schmerz lähmte zusätzlich. „Was tust du da?“. Um mein Recht kämpfen? Um den letzten Funken Leben? Meine Finger abgefroren, schmerzten zusätzlich und alles heizte das Brennen, das nun den ganzen Körper erfasst hatte, ordentlich an.

Um zwölf gab ich auf. Mit 14km nicht unbedingt ein Scheitern. Aber 3h? Fuhr wie vereinbart mit dem Auto nach Hause, da Sebastian noch zu einer kleinen Feier im Lokal unter der Firma ging, machte mir etwas zu Mittag, wollte fernsehen, doch der Receiver streikte. Setzte mich dann tatsächlich vor das Notebook und sah mir im Netz eine Folge „Britt“ an. Säte dann die Tomaten und Paprika in den kleinen Gewächshäusern aus und konnte dann bereits nach Jennersdorf fahren, um Sebastian abzuholen. Kurz einkaufen. Meine Beine streikten, die Gangbildstörung war massiv, ich konnte mich kaum bewegen. Tatsächlich war da nun ein Bild, ich grundierte eine Leinwand, nicht wissend, ob ich in der Lage sein würde, zu malen. Abends noch einen Hosenschnitt vorbereiten, dabei meinem Körper den Rest geben. Diffuse Schmerzen im linken Bein. Abends auf dem Sofa wechselte der konstant vorhandene Kopfschmerz in Migräne. Ich ertrug Sebastian nicht. Schon fast so, als hätte ich das Kortison bereits bekommen. Ich war gereizt, beinahe aggressiv. Wenn ich den Mund aufmachte, kam nur zorniger Unrat heraus. Es tut mir leid. Ertrug mich doch selbst nicht mehr, wie soll ich da andre ertragen? Meine Mutter hatte auch zweimal angerufen. Beim letzten Mal würgte ich sie schweigend ab. Es tut mir leid!!! Eigentlich müsste ich mich schon dafür bestrafen…

Es war eine unruhige Nacht. Ich sah ständig auf den Wecker, wälzte und drehte mich. Und weiß immer noch nicht, was ich vereinbart hatte. 7 oder 7:30 Uhr? Wenn ich meine Beine bewege, wird dies mit einem kribbelnden Brennen geahndet. Der Tee ist leer, der Mund ganz trocken. Würde gern noch mehr trinken. Ich muss einfach dafür sorgen, dass das Kortison nicht all zu großen Einfluss auf meine Verdauung nehmen kann, sonst nimmt dies anschließend bei den ersten Läufen wieder nur ein böses Ende.

Im Gegensatz zu Martha liegt Fine nun auf dem Sofakissen und schlummert friedlich. Ich werde beide hassen. Ich werde alles und jeden hassen. Und vor allem mich. Und kann nicht abstreiten, dass die Tatsache, dass die Wunden während einer Therapie immer spektakulär aussehen, mich ungemein anheizt. Da ist doch eine neue Klinge, aus der mehr rauszuholen sein muss als das, was sie bis jetzt geleistet hat. Bin ich schlecht? Durchaus…

Hab mein Skizzenbuch in die Tasche gepackt, um mir Gedanken über das Bild zu machen. Da sind eine grobe Vorstellung und bereits ein Name.

Jetzt liegt Fine neben mir auf der Bank und fordert schnurrend Streicheleinheiten ein. Winamp spuckt leise Smetanas „Die Moldau“ aus.

 

18. Februar 2010, Donnerstag 3:54Uhr  2. Tag

1:14Uhr –wach.

1:21Uhr –mein Magen beginnt seine unmittelbare Nachbarschaft zu verdauen.

1:35Uhr –Pantoprazol einwerfen.

Zusehen, wie die Eins vor allem andren EINFACH NICHT verschwinden will.

1:58Uhr –eine Ewigkeit, bis es endlich so weit ist.

2:05Uhr –endlich!

2:35Uhr –Sebastian beginnt dezent zu schnarchen und drüben auf der gegenüberliegenden Hügelkette kräht ein Hahn dreimal.

Mein Schädel scheint zu bersten, ich wünschte nur noch, er würde endlich explodieren und aufhören, es nur unentwegt anzukündigen.

3:35Uhr –in der Ferne ertönt eine Sirene zweimal und ich beginnt erneut zu rechnen.

Ertrage das Gefühl meines Kopfes auf dem Kissen nicht, die Gedanken rasen, er ist so dermaßen voll gestopft mit Sätzen, die irgendwie festgehalten werden wollen, wie überflüssig sie auch sein mögen. Kann auch nicht aufhören über das Bild nachzudenken und stehe endgültig auf.

4:00Uhr –jetzt erst wird mir bewusst, dass es noch 5 Stunden bis zum vereinbarten Abholtermin sind. Scheiße. Wohin mit der Zeit? Meine Gedanken sortieren? Ich dachte darüber nach, die im Überfluss vorhandene Zeit in einen erträglichen Rahmen einzudämmen, indem ich mich aufschlitze. Und davor vielleicht ein Aspirin einwerfe. Das frisst Zeit und betäubt. Und dann all die Gedanken, die eben noch geschrieben werden wollen. So wie immer fällt nach der Kortisontherapie das Tippen so ungemein leicht, bin so schnell, mache kaum Fehler. Die Finger finden einfach ihren Weg, als wäre es nie anders gewesen. Aber womit fange ich an? Der Reihe nach?

Resi war um 7:30Uhr da und wir fuhren nach Oberwart. Sie war krank, das machte mir Angst und ich fütterte sie unentwegt mit Hustenbonbons aus meiner Tasche. Radio Burgenland lief im Auto und ich amüsierte mich über das Horoskop: „Jungfrau: Sie erkennen heute in allem um sie rum einen vermeintlichen Angriff.“. Weiter hörte ich nicht, ich musste lachen, denn wenn das mal kein Volltreffer war. Ist es doch genau DAS, was meinen Vater ausmacht. Amüsierte mich sodann auch über mein Horoskop. Ich wäre kreativ, müsse aber erst meine Gedanken ordnen und sollte nicht so verspannt an das Projekt rangehen. Gruselig. Alle andren hätte man jedem Hinz oder Kunz auf den Leib schneidern können, aber das war zweimal ins Schwarze. Oben angekommen beschloss Resi gleich da zu bleiben, wusste aber nicht so recht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte. Ich meinte, sie sollte doch mit mir gruselige Medizindokus auf dem Notebook sehen. Erst wurde ich allein in ein mir vertrautes Kämmerchen geführt. Davor keine Untersuchung, keine Fragen –ich war erstaunt. Ein Trupp, bestehend aus zwei jungen Turnusärztinnen und einem Studenten, traten ein um sogleich ihr blaues Wunder zu erleben. Die Erste punktierte den Port. Bekam aber kaum etwas in diesen gespritzt, war sich nicht sicher, ob sie überhaupt drinnen war und ob die Nadel nicht zu kurz sei. Dann versuchte es die andere mit einem Mediumgripper. Sie konnte eher spülen, die Infusion wurde angehängt, doch sie lief nicht. Ich riet, das Besteck zu überprüfen, doch der Schlauch war allem Anschein nach in Ordnung. Sie tasteten unentwegt am Port rum, waren verunsichert, ob dieser überhaupt noch gerade liegen würde oder zu wäre. Dann fingen sie an meine Arme zu stauen und nach Venen zu suchen. Und fanden NICHTS! Gähnende Leere oder auch Schrotthaufen –wie man will.

4.21Uhr –nun wird mir schlecht von den Kopfschmerzen.

Viele Theorien wurden aufgestellt, Verwunderung darüber geäußert, dass ich noch so einen Humor an den Tag legen konnte. „Vielleicht war ich wirklich nicht ganz drinnen. Ich kann ihn aber auch nicht ganz tasten. Normalerweise fühlt man dann oben eine glatte Fläche und weiß, dass dort das Membran ist.“, meinte eine der beiden Ärztinnen. „Zu viel Speck drüber…“, meine lakonische Antwort darauf. „Ach Quatsch!“, beide Damen empört. „Sagen sie das der Internen, wo ich bei 1:64m mit 67kg als adipös bezeichnet wurde…“, murrte ich, diese alte Wunde wieder mal ins Blickfeld rückend. „NEIN!“, beide noch empörter. „Das ist doch Unsinn, das MUSS ein Tippfehler sein. Das ist doch noch Normalgewicht. Da gehört ein viel größerer BMI-Wert dazu, um das zu sagen. Nicht mal Übergewicht ist adipös!“. Das war ja mal nett und Wundpuder auf dieses klaffende Loch in meiner Erinnerung. Verstärkung wurde angekündigt und als ich noch sagen wollte, jemand aus der Onko sollte kommen, trat eben solche Turnusäztin von der Onko in den Raum. Sie punktierte den Port ein drittes Mal. Nun konnte ich definitiv sagen, dass sie daneben gestochen hatte. Das Injezieren der Kochsalzlösung ging zwar leicht, doch ich konnte fühlen, wie es links neben meiner Brust unter der Haut hinab floss und brannte. Ich scherzte: „Das gibt eine dritte Brust.“. Bei den beiden ersten Malen konnte ich zumindest spüren wie die Gummimembrane durchstochen wurde, und nun, wie der lange Gripper am Plastikgehäuse entlang kratzte. Sie entschuldigte sich für ihr „Versagen“ und ging wieder. Meine Arme wurden nochmals inspiziert, um dann einen Blick auf meinen Unterschenkel zu werfen. „Die Vene ist schön, das muss vom Laufen kommen.“, und punktierte diesen mit einem blauen Babyvenflon. Die Flasche wurde angehängt und alle verließen etwas misstrauisch den Raum, nicht wissend, ob nun alles glatt gehen würde. Diese Prozedur verschlang eine halbe bis dreiviertel Stunde und Resi kam in den Raum geschlichen. „Ich hab mir schon Sorgen gemacht, weil sie ständig im Flur mit diesen Brechtassen rum liefen und ständig von dir redeten.“. Sie setzte sich neben mich und ich war die erste Sendung an. Ständig kam jemand um zu kontrollieren, ob alles in Ordnung sei. Die Zeit wollte und wollte einfach NICHT vergehen. Ich merkte, wie mein Gesicht zu glühen begann und es tat mir so unendlich leid, dass es so lange dauerte und sie so lange warten musste. Nicht ahnend, in was für einer Zeitbombe das noch enden würde. Schwester Elisabeth kam ins Zimmer und meinte, dass meine neue Neurologin sich den Port anschließend noch ansehen wollen würde. „Sie sagt, sie kennt sich damit gut aus!“, ihr verheißungsvoller Endkommentar, ehe sie grinsend den Raum wieder verließ. Irgendwann, man mag es kaum für möglich halten, war die erste Stunde um. Ich zitierte mich selbst laut: „Eine Stunde um, doch selbst das vermag die Ewigkeit nicht zu halbieren.“. Und so war es auch. Ich war mir über Resis Gefühlszustand nicht ganz im Klaren, fühlte mich unwohl und noch schuldiger. Dann rief noch ihr Chef an, wie lange es denn noch dauern würde. Ich sank in mich auf die Größe eines überflüssigen Krümels.

4:49Uhr –nun meinen mit extra Milch geschwängerten Capuccino trinken, daneben ein Becher Joghurt und ein Aspirin. Hatte erst eine andre Tablette aus der Packung gedrückt und mich dann doch für den Blutverdünner entschieden.

IRGENDWANN, sagen wir es war Mittag, und ich hatte bereits meine kleine Nussschnecke mit meiner Taxifahrerin geteilt: Fertig. Dann -sagen wir nun auch- IRGENDWANN kam meine Ärztin und widmete sich dem Corpus Delicti. Auch sie traf die Membran, konnte mit Widerstand spülen, doch die Probeinfusion aus NaCl wollte einfach nicht laufen. Sie zog den Gripper wieder raus, hatte wohl ein Blutgefäß verletzt, es blutete und sie musste eine weitere Ewigkeit auf diesen drücken, eine der jungen Ärztinnen musste ständig runter auf die Tagesklinik rennen, weil NICTS in der Neuro vorhanden war, ich mit meinem Port hier sozusagen ein Exot. Und während sie das Desinfektionstuch auf die Einstichstelle presste, unangenehmes Schweigen. Ab und zu stellte sie eine Frage, doch wohl fühlte ich mich wahrlich nicht. Begann dann einfach in Kortisonmanier fröhlich vor mich hin zu plappern. Es müsse untersucht werden, ob der Port kaputt ist, doch es sei zu dubios, dass die Spülungen mehr oder minder anstandslos in diesen zu applizieren waren. Nach kurzem Telefonieren war klar, dass ich nach unten ins Erdgeschoss zur Phlebographie sollte. Davor wurde der Port zum 5. Mal punktiert. Ich bin ja nur noch gespannt auf Freitag, wenn das Pflaster runterkommt. Wie das wohl aussieht? Zwei kleine Pflegeschülerinnen verfrachteten mich in einen Rollstuhl, der nicht mal Fußstützen hatte. Ich wollte nicht, doch wurde gezwungen. Ganz nebenbei, ehe sich irgendetwas bewegte, wären wir schon zweimal gehend unten gewesen.

5:00Uhr –noch 4 Stunden.

Ich zog meine Beine an, klemmte die Füße irgendwie in eine Zwischenstrebe und wir fuhren los. Und WIEDER WARTEN. Resi hätte um 15:15 in Feldbach sein müssen um eine Dialysepatienten abzuholen und ich sah zu, wie es 14:00 wurde. Versuchte mit den beiden Mädchen ein Gespräch aufzubauen, dieses Schweigen ertrug ich einfach nicht mehr. Nach einer EWIGKEIT kam ich dran, wieder auf diese Röntgenplatte in Mahagonioptik und dort WIEDER warten. Wie ich da so mit freiem Oberkörper lag, musste ich darüber nachdenken, dass es sich wohl auch so anfühlen muss, wenn man in der Pathologie auf einem der Tische Platz nehmen darf. Ich konnte nicht mehr, mein Schädel am Hämmern. Dann endlich ging es los, die Ärztin meinte, das Kontrastmittel zwar hineinzubekommen –mit ziemlicher Gegenwehr- es aber nicht auf dem Röntgenschirm zu sehen. Die Assistentin trat an sie heran und meinte: „Da läuft es doch runter!“. Sie versuchte es mit einem andren Kontrastmittel und dann konnte auch sie es sehen: „Ahhh, das ist wohl ein Besseres“, und dann: „Port durchgängig, wenn auch mit ziemlichem Druckaufwand.“. Ich erwähnte, dass für gewöhnlich ein Infusomat benutzt würde und sie meinte, dass dieser sehr wohl den nötigen Druck aufbringen könnte. Ich war nun etwas verärgert, da ich es doch bei den ersten Versuchen erwähnt hatte und mir gesagt wurde, es würde lediglich die Tropfgeschwindigkeit regulieren. Hm! Auf dem Rückweg kippte ich beinahe aus diesem beschissenen Stuhl, als er beim raus Fahren aus dem Lift an der Schwelle hängen blieb. Ich zu der Kleinen: „Siehst du? Und darum IMMER mit Gurt fahren!“. Obwohl mir WAHRLICH nicht mehr nach Scherzen war.

5:13Uhr –Kaffee alle und der Joghurt schmeckt nicht.

Wieder oben, WIEDER warten. „Es tut mir so leid!!!“, ich zu Resi. Dann von Schwester Hedi ein „Alles retour! Es muss noch ein Ultraschall gemacht werden.“. Nun GING ich aber zu Fuß. „Sie waren so schnell weg.“, die Ärztin freundlich. Man hatte mir ja auch nichts gesagt. Das Ultraschall ergab, dass die Venen wieder voll durchgängig wären, nur hinters Brustbein könne man nicht sehen. Ich versprach zum Vergleich die alten Bilder mitzubringen. Wieder nach oben, nochmals warten. DANN ENDLICH konnten wir fahren. Resis Fahrt hätte bereits jemand anders übernommen. Schlecht, SOOOO unendlich SCHLECHT!!! Kurz vor 15:45Uhr war ich zu Hause. Bei der Rückfahrt war mir eigentlich überhaupt nicht mehr nach Reden, zudem mein hämmernder Schädel. Ich suchte die Bilder und die Befunde raus und erschrak, als auf dem von einer Nachuntersuchung stand, dass das Lovenox noch 4-6 Monate (oder Wochen?) angewendet werden kann. Das war 2005. Ich weiß nicht, ob es dann andre Ansichten gab, es weiter zu nehmen. ICH WEISS ES EINFACH NICHT!!! Was weiß ich eigentlich? Ich bin mir nicht mal sicher, ob dieses Problem mit dem Port nicht schon seit der Implantation bekannt war. Versuche ich mich zu erinnern, fühle ich gähnende Leere. Und es wurde noch schlimmer. Ich musste das Wohnzimmer sauber machen, ehe ich mich ausruhen durfte, und holte den Staubsauger. Neben dem Schränkchen, auf dem auch das Aquarium steht, lag ein getrockneter Fisch und daneben Unmengen von Wollmäusen. Ich fasste ihn irritiert an –knochentrocken. Den musste anscheinend eine der Katzen unter dem Schrank rausgeholt haben und gehörte zu diesen Katzenleckereien, die die Katzen gar nicht lecker fanden und letztendlich nur spielend unter allen Möbelstücken verteilt hatten. Saugte ihn ein, machte alles fertig und sank erschlagen aufs Sofa. Sebastian kam und wir machten noch einige Vorlagenfotos, von denen ich noch nicht weiß, wie beschissen ich darauf aussehe. Abends, bevor ich ins Nähzimmer ging, machte ich noch das kleine Licht neben meinen Blubbernasen an und wollte sie füttern. Fing an zu zählen: Eins, zwei, drei, vier. Und erschrak: Wo war Nummer Fünf? Ich  rief nach Sebastian, wir durchsuchten beide dieses 20x30cm Glaskästchen, doch kein fünfter Fisch. Nun war mir nach Heulen. Ich holte die Staubsaugerbox und entleerte sie Staubknäuel für Staubknäuel. Da war er: „Der sieht verdammt wie der Fehlende aus.“. Der Große, der sich bereits orange zu färben begonnen hatte. Aber wie? Raus gesprungen? Die Katzen? Oder ich, als ich ihnen dienstags diesen Porzelanbaumstamm hinein legte?“. Es tat mir so UNENDLICH leid. Und anstatt zu nähen, bastelte ich einen Holzrahmen, den ich mit Fliegengitter bespannte. Die Kopfschmerzen wurden immer unerträglicher und ich fragte mich, ob das nun noch „normal“ sei. Überall! Die Stirn, die Schläfen, die Ohren, der Hinterkopf und sogar der Nacken. Versuchte zu schlafen, irgendwann gelang es. Um 22:30Uhr ins Bett um dann so früh wieder aufzustehen.

5:38Uhr –fantastisch, nun bekomme ich auch noch Schluckauf. Wie lange dauert es, bis ich kotzend im Klo hänge? Und dieses mal unfreiwillig. Zudem ist nun der Gesprächsbrunnen nach diesem Roman erschöpft.

5:51Uhr –was tun?

 

19. Februar 2010, Freitag 4:50  3. Tag

Es macht mich rasend, dass die Pille natürlich beim Rausnehmen der vorbereiteten Tagesdosis an Tabletten runter fällt und ich mich eine viertel Stunde durch alle Teller und Boxen des kleines Regals kämpfen muss, um sie anschließend im kleinen Karton mit all den gebrauchten Spritzen wieder zu finden.

Es macht mich rasend, dass ich die einfachsten Abläufe durcheinander bringe.

Und es macht mich noch rasender, dass da eine der Katzen vor der Tür sitzt, ins Wohnzimmer starrt, rein will, um mich hin und her zu scheuchen.

Ich kann nicht. Und ich kann den Gedanken, nachher im Taxi mich wieder Gesprächen aussetzen zu müssen, die mehr Monologen gleichen, nicht ertragen. Und auch nicht, dass ich dann die zwei Stunden während der Infusion nicht allein bin. Es tut mir leid, aber…

Ich kann nicht! Ich kann nicht! ICH KANN NICHT!!!

Neben mir auf dem Tisch meine Seelentröster.

Meinen Kaffee trinken und mich dann abschlachten.

Habe nichts geschafft, hab’s zu nichts gebracht. An der Zeit…

Die Beine kribbeln, die Beine brennen, so wie mein Magen. Doch der muss herhalten –den Kaffe in mich reinkippen.

-

Blutflecken auf den geschwollenen Fingern der rechten Hand. Rinnsale auf der Linken.

Erst stark, dann schwach und schon geronnen.

Atemlos mit dem Gefühl zurückbleiben, dass es nicht reicht. Mindestens eine kleine, sichtbarere Narbe konnte ich wohl basteln. Ist das krank oder gar arm?

Die Katze reinlassen.

Und nachdem ich mich nun selbst wieder zurückpariert habe, mich der betäubenden Stille zum Fraß vorwerfen. Mit zuckendem Mundwinkel…

-

Was bin ich? Depressiv? Einfach nur gereizt? Aggressiv? Vom Kortison durcheinander? Oder gar wahrhaftig und echt?

Habe Angst, Menschen verletzen zu können. Wenn sie doch schon verletzt sind, wenn ich sie mir zu ihrem Wohle vom Leibe halten will.

Reicht es nicht, dass ich mich selbst verletze?

Stilles Fordern um mich rum, wenn ich mich umsehe. Der Geschirrberg fordert, die Fische fordern, die Kamera mit neuen Vorlagenfotos fordert, so etwas Banales wie der Tablettenhaufen fordert. Und ich kann doch nicht. Wäre ich ein dunkles Loch, würde ich nun in mich kriechen. Doch ich bin immer noch vorhanden, erreichbar, löse mich nicht auf, werde nicht unsichtbar. Und wünschte es mir doch so sehr…

 

Es war so anstrengend, ich konnte ihr nicht mehr zuhören. Es war auch dermaßen anstrengend so zu tun, als sei ich ein netter und lustiger Mensch. In mich sinken, sobald sich die Tür des kleinen Kämmerchens schloss. Lasst mich allein!!!!! Bei der Rückfahrt wurde es noch anstrengender. Dann roch es nach Frühling, als ich aus dem Taxi stieg. Ein toter Winkel im Erwachen des Lebens. Still und schwarz.

 

20. Februar 2010, Samstag 7:20

Erster Eindruck: Aufgepolstertes Mondgesicht.

Kopfdröhnen, Magenschmerzen, Beine steif, starkes Brennen in diesen und dem linken Arm, der ganze Körper kribbelt, zittert, bebt.

Aber hey! Es geht mir gut…

Der Tag nahm eine unerwartete Wendung. Erst machte ich im Taxi klar, dass mir nicht unbedingt nach Reden sei, und sie redete irgendwie erst recht. Nach dem Anschließen an den Infusomaten wurde ich auf den Flur geworfen, dort konnte ich aber das Notebook nicht mit Lautsprechern laufen lassen. „Hast du was zu lesen mit?“. „Nein…“, und sah mich irgendwie leer an. Na toll. Ich rutschte zu ihr auf die Bank in der Kinderecke, bot ihr einen Kopfhörer an und wir sahen uns irgendwelche Sendungen an, die ich noch mit hatte. Da trat meine Neurologin an unsren Tisch, ich sah zu ihr auf, in ihr wieder ernstes und irgendwie noch strengeres Gesicht. „Die Radiologin hat ihre Befunde verglichen. So gesehen war es kein Wunder, dass der Port solche –wie sie es nannten- „Schwierigkeiten“ bei der Implantation gemacht hat. Eigentlich ist es ein Wunder, dass er es überhaupt geschafft hat.“ „Ja, ich hatte mich auch erst wieder daran erinnert, dass ja die Venen links auch zu waren. Also ist es sehr wohl indiziert, dass ich das Lovenox weiterhin spritze?“, ich zu ihr. „Ja, ja! Auf jeden Fall.“. Da kam ein Mann mit Befunden in der Hand auf sie zu, obwohl sie mit mir sprach und schob sich einfach zwischen uns und ihr seine Befunde unter die Nase. Es knarrte beinahe bedrohlich, als sie ganz langsam ihren Kopf zu ihm drehte und ihm einen bitterbösen Blick zu warf. Sie sprach ganz leise und zischte giftig: „Da drüben ist die Schwester, melden sie sich dort an.“, und dann noch hinterher: „Sehe ich aus wie eine Schwester?“. Uhhh, die Luft knisterte. Sie wandte sich wieder mir zu: „Sie kommen am 1. März tagesklinisch hierher, es werden Blutbefunde gemacht und dann eine weitere Phlebographie von beiden Seiten gleichzeitig. Da hätte gar kein Port implantiert werden dürfen.“. Na wunderbar.

Bei der Nachhausefahrt kam irgendwann raus, dass ich Schlager hasse und Resi war plötzlich vollkommen schockiert über diese Tatsache. „Aber ich dachte…“. Um Himmels Willen, hatte ich tatsächlich diesen Eindruck vermittelt? Ich amüsierte mich doch eigentlich nur nonstop über die stupiden Texte, die Bausatzmelodien und allgemein über meinen „Heimatsender“. Und dann nicht mal mehr amüsiert, sondern nur noch entnervt. Und vor allem- was war denn nun so schlimm daran? Sie mag doch auch keinen Metal. Dachte darüber nach, ob sie begonnen hatte irgendetwas in mich hineinzuinterpretieren, da sie wohl mit keiner ehemaligen Schulkollegin ihrer toten Tochter zu tun hat. Und es machte mir Angst.

Zu Hause auf dem Sofa zusammenbrechen, mich nicht mehr rühren können. Es regnete auch, ich döste halbtot im Dämmerlicht des Wohnzimmers, ehe ich irgendwann um 19 Uhr wach wurde und mich erneut allen Fotos widmete um erneut zu verzweifeln. Überbelichtet, unscharf, sah scheiße aus, aufgedunsen, dick angeschwollen. Und war froh am Ende noch die Fotos vom 1. Kortisontag zu finden: Keine dicken Knöchel, noch Hände oder Gesicht angeschwollen und zudem scharf. Ob ich heute anfangen kann?

Und ich durfte schlafen, bis 7 Uhr.

Jetzt laufen. Oder?

 

22. Februar 2010, Montag 8:00

Alles taub, kann nicht denken. Aber vielleicht fühlen?

Mittendrin im Kortisonentzug und meine Mutter konnte es nicht sein lassen und rief gestern Abend an. Den ganzen Tag hab ich darüber nachgedacht, wie lange sie es wohl aushält, eben dieses zu unterlassen. Ich weiß nicht mal, was sie auf den Anrufbeantworter gesprochen hat, machte das Telefon aus. Hätte dies schon viel früher tun sollen. Aber man hofft ja so lange man lebt… Mein Abend was gegessen. Denn ICH bin es, die schlecht ist. ICH bin diejenige, der alle Schuld zuzuschreiben ist. Man will doch nur das Beste für mich.

Ist es egoistisch meine Ruhe haben zu wollen?

Ist es dumm zu glauben, dass nach der 100. Therapie eine Änderung eintritt?

Ich wiederhole mich, IMMER und IMMER WIEDER! Aber es kommt einfach nicht an. Ist das nicht auch eine Art von Respektlosigkeit? Ach, was philosophiere ich denn überhaupt noch darüber. Es wurde doch schon längst alles gesagt, längst SO UNENDLICH VIELE Worte daran verschwendet.

Unterm Strich bleibt einerseits meine Schlechtigkeit und andrerseits meine Wertlosigkeit.

Dieser Zustand verlangt nicht nach „Brauchst du was?“ oder „Kann ich dir was Gutes tun?“. Denn letztendlich ist auch dies irgendwie nur ein Vorwand um mich zu vereinnahmen und zuzuschütten. Ich ertrage es nicht, dass man so nahe an mich ranrückt. Schon gar nicht in diesem Zustand. Ich will einfach nur meine Ruhe, zumindest für eine Woche.

Soll ich den AB abhören um mich vielleicht noch mehr zu ärgern und dann letztendlich wieder nur mich selbst zu hassen? Sie anrufen, auf die Gefahr hin in dieser instabilen Verfassung ungehalten zu reagieren? Mich anschließend noch mehr zu hassen? Warum erträgt sie es nicht eine Woche lang nicht mit mir zu sprechen? WARUM?????

Den zerkratzten Arm ansehen. Mein Weg vorgezeichnet?

Es könnte alles so einfach sein… Bin verhältnismäßig ruhig, irgendwie zu betäubt um aggressiv zu reagieren. Was sich wunderschön beim Malen beobachten ließ, als die Fiaskoreihe ihren nächsten Höhepunkt erreichte. Letztendlich saß ich mit einem Spülschwamm an der Leinwand und kratzte mit der grünen Fläche die Farbe ab. NIE WIEDER GRUNDIEREN!!! Aber nein, ich heulte nicht, ich schrie nicht, alles in mir war still, tat sogar meine Empörung still kund. Kurz gab es die Überlegung mir anderweitig zu helfen, als ich mit dem Schwamm voller Farbe nach unten ging. Doch ich kam nach dem Auswaschen sogleich wieder und „quälte“ mich weiter. Eigentlich lief auch den ganzen Tag keine Musik, einfach nur Stille, das Brausen des Windes und Vogelgezwitscher. Frühling.

Irgendwie funktionierte wirklich gar nichts, aber ich blieb dennoch ruhig. Der Lauf war ebenfalls ein Fiasko –mein Körper nun damit beschäftigt das ganze Wasser wieder loszuwerden- und ich musste nach 7km das Handtuch werfen. Der Lauf samstags war schlichtweg DER Wahnsinn. Ich hatte ein unglaubliches Tempo drauf, war um über einen Kilometer schneller, keine Lähmung, keine Schmerzen. Geschmeidig, schnell und vor allem stabil –und das war mein Ausflug ins Kortisonhoch. Kurz und wunderschön.

Für heute kann ich nur hoffen, es bis zum Kirchenklo zu schaffen.

 

23. Februar 2010, Dienstag 7:45

Die Symptome in Armen und Beinen nehmen massiv zu. Als hätte man die Bestie nun erst recht gereizt. War das ganze ein Schuss in den Ofen?

Zarter Raufreif liegt über den Wiesen und die Sonne kriecht hinter den Hügeln hervor. Wie ruhig bin ich noch? Eine Horde Eichelhäher fällt in unseren Wald ein, es ist so still, ich kann sie nicht hören. Lediglich eine Kohlmeise -ganz leise.

Der Wind hat sich gelegt. Ich saß den ganzen Nachmittag im Atelier in der Stille, mit nur dem Raunen des Windes in den Türritzen um mich. Es war unheimlich, irgendwie beklemmend. Und ich versuchte herauszufinden, warum es das war. Woran erinnerte es mich? Irgendwie an Tod, Hallen, Krankenhaus. Was weiß ich. Und war doch nicht in der Lage die Tür komplett zu schließen, noch dieses mit dem Fensterflügel zu tun. Ich MUSSTE mich dem aussetzen. Und es fühlte sich an, als sei ich längst tot. Atemlos. Und malte mit diesen Gefühlen in der Stille, mit mäßigem Erfolg. Durch das Grundieren und die anschließenden Farbschichten, die nötig waren damit die Farbe überhaupt decken konnte, wurde der Untergrund spiegelglatt und ließ sich nicht mehr bearbeiten. Ich wich auf eine andre Stelle aus, um mich dann an dieser kaputt zu machen. Und doch so ruhig. Verdächtig ruhig…

Der Lauf war erst gut und dann schmerzhaft. Siehst du? Nun weißt du wie es deiner Mutter immer geht! Nur mache ich kein theatralisches Theaterstück daraus und meine Hüftschmerzen traten bereits vor Jahren auf. Ab dem 8. Kilometer wurde es richtig intensiv, doch ich lief weiter. So wie immer. Und es wurde warm, ich konnte den Frühling spüren. Es war, als würden die Ketten des Winters von mir abfallen. Wieso sollte ich da aufhören?

Nachmittags stellte ich fest, dass meine Mutter erneut angerufen hatte. Wäre ich nicht so betäubt, hätte meine Reaktion wohl noch ganz anders ausgesehen. Ich rief sie also an. Wortkarg –denn ich hatte nichts zu sagen. Dann wieder die Frage, ob ich etwas bräuchte. „Meine Ruhe.“, und: „Mir ist einfach nicht nach Kommunikation. Ich habe nach dem Kortison so dermaßen damit zu tun, meine Einzelteile zusammen zu halten, da ist mir nicht nach reden.“. Versuchte es ihr aufs Neue so schonend klarzumachen, dass sie sich auf keinen Fall angegriffen fühlen konnte. „Ist in Ordnung. Wir reden ja noch sicher diese Woche.“, und hielt inne: „DU meldest dich, wenn du wieder kannst.“. Kopfschütteln.  „Aber danke, dass du angerufen hast, nun ist mir schon wieder leichter.“. Warum? Worin liegt das Problem mal über eine Woche nicht miteinander zu sprechen? Nein, ich kann nicht mehr darüber nachdenken. Mein Kopf ist leer. Und er fühlt sich noch leerer an, wenn ich an die Arbeit denke. Unendlich weit weg.

 


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